Donnerstag, 12. November 2015

Terror als Teil des deutschen Alltags - "Gewalt wird eskalieren"


Er ist der bekannteste Polizist Deutschlands und will sich demnächst nach gut zehn Jahren von der Spitze der Gewerkschaft der Polizei zurückziehen. Konrad Freiberg über die Zunahme von Gewalt, Parteienkrise, Terrorgefahren und Zukunftspläne.



Frage an Konrad Freiberg: "Woher rührt die Aggressivität, die es gegenwärtig bei Demonstrationen wie Stuttgart 21 oder beim jüngsten Castor-Transport gibt?"

Konrad Freiberg: "Erstens gibt es in Deutschland eine generelle Zunahme von Gewalt. Das hat vielerlei Ursachen. Die Menschen fühlen sich allein gelassen, sehen für sich keine Perspektive, Alkohol spielt eine ganz große Rolle. Und dann gibt es gesellschaftliche Konflikte: Die Menschen fühlen sich nicht von der Politik verstanden. Und so nimmt die die Aggressivität zu im Alltag, aber auch bei Großereignissen."

Ist das eine Krise des Parteiensystems?



Das würde ich schon sagen. Die Akzeptanz für alle politisch Verantwortlichen lässt nach. Deshalb müssen wir überlegen, wie wir den Dialog wieder in Gang setzen. Die Politik darf nicht einfach etwas durchsetzen wollen, sondern sie muss mit den Menschen in einen Dialog eintreten, damit die Akzeptanz wieder zunimmt.

Befürchten Sie eine Eskalation wie in Frankreich oder in Großbritannien?


Wir haben eine andere Kultur als die Franzosen. Die Franzosen machen öfter eine Revolution und dann setzten sie sich vor das Fernsehgerät und trinken Rotwein. Aber ich glaube schon, dass die Gewalt bei uns eskalieren wird, Links- und Rechtsextremismus werden zunehmen. Es wird rauer, ungemütlicher. Die Auseinandersetzungen um soziale Ungerechtigkeiten werden auch auf der Straße ausgetragen.

Ist die Terrorgefahr tatsächlich "Teil des deutschen Alltags", wie Sie es einmal formuliert haben?


Ja, ganz ausdrücklich. Die meisten Menschen haben das noch gar nicht für sich aufgenommen, in welcher Situation wir leben. Die Gefahr wird auch noch viele Jahre andauern. Wir haben eine ganze Reihe von konkreten Anschlägen bei uns verhindert. Wir müssen mit dieser Gefahr leben. Zugleich müssen wir alles Menschenmögliche unternehmen, um uns zu schützen. Wir dürfen die Gefahr aber nicht verdrängen. Es kann auch bei uns passieren. Das sage ich in aller Deutlichkeit.

Wäre es nicht sinnvoll, die tieferen Ursachen namentlich des islamistischen Terrors zu beseitigen, das Engagement in Afghanistan, zum Beispiel, am Horn von Afrika und andernorts und stattdessen friedliche Auswege zu finden?


Man kann den islamistischen Terror natürlich nicht allein mit polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Mitteln bekämpfen. Man muss schon auf die Ursachen schauen und nach Lösungen suchen. Diese sind aber nicht von heute auf morgen zu erreichen. Deswegen müssen wir uns schützen. Was die Polizei und die Nachrichtendienste machen können, müssen sie auch tun.

Haben wir genügend Polizisten in Deutschland?


Nein. Wir haben viel zu wenig. Ich sage das mit einer gewissen Bitternis, weil in der Öffentlichkeit ein völlig anderer Eindruck erweckt wird. Wir haben in den letzten zehn Jahren zehntausend Polizisten weniger. Wir haben ständig neue Aufgaben: Terrorismus, Links- und Rechtsextremismus, Internetkriminalität, Castor-Großeinsätze, Gewalt bei Fußballspielen. All das ist hinzugekommen. Von dorther brauchen wir mehr Polizisten.


Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Amtszeit, was haben Sie bewirkt?


Zwei Dinge würde ich für mich persönlich sehen: Erstens habe ich daran mitgewirkt, dass die Polizei so ein hohes Ansehen in der Öffentlichkeit hat. Die Bürger sagen: Vor allen anderen Institutionen haben wir Vertrauen zur Polizei. Und das Zweite: Ich habe mich bemüht einen Beitrag dazu zu leisten, dass die Arbeitnehmer ihren Zusammenhalt im DGB gestärkt haben. Das sehen wir gerade jetzt in diesen Tagen, da Proteste des DGB stattfinden.

Was macht Konrad Freiberg künftig?


Erst werde ich einmal mit meiner Frau verreisen. Dann werden wir daheim aufs Wasser gucken und dabei Rotwein trinken. Dann werde ich mich in Hamburg sozial engagieren und ein Buch schreiben. Es gibt noch viel zu tun.

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