Samstag, 16. Januar 2016

Russland kritisiert erneut MH17-Abschlussbericht

Von: Florian Rötzer

Es soll keine 9M38M1-Buk-Rakete gewesen sein: In einem Brief wird das Untersuchungsteam auf zahlreiche angebliche Mängel hingewiesen

Der im Oktober mit einiger Verzögerung vorgelegte Abschlussbericht des vom Dutch Safety Board, der Niederländische Flugsicherheitsbehörde, geleiteten internationales Teams war beschränkt auf die Ermittlung des Absturzgrundes der Maschine MH17 am 17. Juli 2014. Die Schuldfrage in dem Fall, der den Konflikt zwischen dem Westen und Russland verschärft und auch zur Legitimation der Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland dient, soll das Gemeinsame Ermittlerteam (JIT) klären.

Noch völlig unklar ist, wann dieses Team, bestehend aus Experten aus den Niederlande, Australien, Malaysia, Belgien und der Ukraine, seinen Bericht vorlegt. Gestritten wird derweil darum, ob parallel und zuvor, wie von manchen Ländern gewünscht, ein Tribunal eingerichtet werden soll. Das aber dürfte auch keine weiteren Informationen als das Ermittlungsteam haben. Russland hat dies gerade wieder scharf zurückgewiesen.




Ein wichtiges Beweismittel über den Flug von MH17 fehlt aber weiterhin. Weder die Ukraine noch Russland haben dem Team die primären Radardaten geliefert. Das wurde insbesondere mit Blick auf Russland gerügt, die Ukraine hatte behauptet, dass just zu dieser Zeit Radarsysteme ausgefallen gewesen sein. Beachtlich ist jedoch auch, dass weder entsprechende Daten von den Nato-AWACS-Flugzeugen bzw. von den USA oder anderen Nato-Staaten geliefert wurden - und dass dies von dem Team einfach klaglos hingenommen wurde, siehe Abschlussbericht:



Nach dem Abschlussbericht ist für den Abschuss der MH17 höchstwahrscheinlich eine Buk-Rakete des Typs 9M38M1 verantwortlich (Nach dem niederländischen Abschlussbericht wurde MH17 mit einer 9M38M1-Buk-Rakete abgeschossen). Ausgeschlossen wurde die von russischer Seite ins Spiel gebrachte Behauptung, MH17 sei von einem ukrainischen Kampfflugzeug abgeschossen wurde. Auch Computerfehler oder andere Pannen können nicht verantwortlich sein. Offen blieb trotzdem, wer diese abgeschossen haben könnte. Die Tendenz ist allerdings klar. So sagte Tjibbe Joustra, der Vorsitzende des niederländischen Sicherheitsrates, einen Tag nach Veröffentlichung des Berichts, die Rakete auf MH17 sei vom Gebiet der pro-russischen Rebellen aus abgeschossen worden (Moskau: MH17-Abschlussbericht "fundamental falsch"). Auch die US-Regierung schloss sich dieser Darstellung an.



Das JIT verhält sich zumindest nach außen hin noch vorsichtiger. Dass eine Buk-Rakete für den Abschuss verantwortlich war, sei zwar die wahrscheinlichste Hypothese, so eine Mitteilung im November 2015, aber in einer strafrechtlichen Untersuchung sei die Beweislast höher, es müsse einen nicht widerlegbaren Beweis dafür geben, dass die MH17 mit einer Buk-Rakete abgeschossen wurde. Alternative Szenarios müssten ausgeschlossen werden. Die Ergebnisse eines anberaumten dreiwöchigen Expertentreffens, das die vorliegenden Beweismittel untersuchen sollte, liegen noch nicht vor.

Bekannt ist, dass das JIT verzweifelt nach Zeugen vor Ort sucht, aber damit große Schwierigkeiten hatte. Angeblich hatte ein privater Ermittler, der im Auftrag eines unbekannten Geldgebers ebenfalls auf der Suche nach Zeugen und Beweisen war, diese im Juni eingestellt. Ausgelobt waren 47 Millionen US-Dollar für Beweise und für Bemühungen des Vertuschens. Angeblich waren "stichhaltige Beweismittel und Informationen" geliefert worden. Seitdem herrscht auch von dieser Seite Stille (Niederländische Staatsanwaltschaft stellt MH17-Untersuchung ein).

Russland stellt in Frage, ob es überhaupt eine Buk-Rakete war

Nicht nur in der strafrechtlichen Untersuchung und im Internet werden die vorliegenden Beweismittel weiterhin diskutiert, nun hat sich auch Russland noch einmal eingeschaltet, das schon vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts angebliche Fehler moniert hatte. Der russische Rüstungskonzern und Buk-Hersteller Almaz-Antey erklärte, man habe im Gegensatz zu den Simulation des Untersuchungsteams zwei Experimente mit zwei Buk-Raketen und Flugzeugen durchgeführt. Danach könne es sich bei MH17 nur um alte Raketen handeln, die seit 2011 in Russland ausrangiert seien, aber um keine 9M38M1. Neue Buk-Sprengköpfe würden keine solchen Einschusslöcher wie gefunden verursachen (Moskau: MH17-Abschlussbericht "fundamental falsch").

Aus dem Video des Buk-Herstellers Almaz-Antay von den Versuchen.


Jetzt hat sich auch Rosaviatsia, die russische Luftfahrtbehörde, eingemischt und am 14. Januar einen Brief an den Dutch Safety Board geschrieben. Dort wurde er empfangen, man wollte sich aber noch nicht dazu äußern. In dem Brief wies der Leiter der Behörde, Oleg Stortschewo, auf Fehler und Ungenauigkeiten des Abschlussberichts hin und beschwerte sich darüber, dass die Ergebnisse der Experimente von dem Team nicht berücksichtigt worden wären und dass die Verantwortung der Ukraine für die Schließung des Luftraums ungenau formuliert sei, da die Ukraine Warnhinweise ignoriert habe.

Im Kern der Kritik stehen wiederum die gefundenen Splitter: "Das Neue und Wichtige ist, dass die Eigenschaften der Splitter, wie sie im Bericht angeführt sind, nicht den Eigenschaften der Splitterelemente eines 9Н314М-Sprengkopfes entsprechen." Es habe sich um kleinere Splitter gehandelt, was auch nach den Experimenten nicht auf einen Massenverlust durch die Einschlagswirkung erklärt werden könne. Größere Splitter seien nur am Boden gefunden worden.

Auch die chemische Zusammensetzung der Raketensplitter, die am Wrack gefunden wurden, würde nicht der einer Buk-Rakete entsprechen. Zudem würden die gefundenen Raketenteile nicht denen gleichen, die bei einer Explosion einer 9M38M1-Rakete entstehen. Da das Fundstück des vom DSB präsentierten Raketenteils nur leicht beschädigt sei, deute dies darauf hin, dass es nicht zur Rakete gehörte, mit der das Flugzeug abgeschossen wurde.

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