Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) hat sich in einer schriftlichen Erklärung zu den Anschläge in Paris am Freitagabend bekannt. Bereits vor dem Bekennerschreiben hatte Frankreichs Staatspräsident François Hollande den IS für die Anschlagsserie verantwortlich gemacht, die er als Kriegsakt einer „terroristischen Armee“ bezeichnete. Die Attacken seien „von außen“ geplant und vorbereitet und mit Komplizen „im Inneren“ ausgeführt worden, sagte Hollande.
Auf den Straßen von Paris fand gestern Abend ein schreckliches Blutbad statt. Mehrere gleichzeitig stattfindende Terrorangriffe, die um ca. 22 Uhr begannen, forderten mindestens 154 Menschenleben, etwa 250 Menschen wurden verletzt, viele davon schwer.
Kurz vor Mitternacht gab Präsident Francois Hollande bekannt, dass Frankreich seine Grenzen schließe und verhängte den Ausnahmezustand. Er stützte sich dabei auf ein Gesetz von 1955, das zentrale demokratische Rechte suspendiert. Mehrere Regionen von Paris waren am Samstagmorgen abgeriegelt und die Behörden forderten die Einwohner von Paris auf, in ihren Wohnungen zu bleiben. Polizeihubschrauber kreisten am Himmel und paramilitärische Polizeieinheiten und die Armee bezogen in der Stadt Stellung.
Anonymen hohen Sprechern zufolge, die von der Presse zitiert wurden, gab es mindestens sieben fast gleichzeitige Terroranschläge, die höchstwahrscheinlich koordiniert waren. Folgende Angriffe wurden genannt:
* Im Bataclan Theater im 11. Distrikt von Paris nahm ein Team von drei oder vier mit Granaten bewaffneter Angreifer Hunderte Menschen bei einem Konzert der amerikanischen Band Eagles of Death Metal als Geiseln. Laut Konzertbesuchern, die fliehen konnten, riefen die Angreifer „Allahu Akbar“ und „dies ist für Syrien“. Paramilitärische Polizeieinheiten stürmten um ca. 0.30 Uhr das Gebäude und töteten zwei Terroristen. Sie berichteten über schreckliche Szenen in dem Gebäude. Mehr als hundert Besucher seien tot gewesen.
* Drei Bomben gingen in Restaurants und in einem Kino nahe dem Fußballstadion Stade de France nördlich der Innenstadt hoch, wo Zehntausende Fans das Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Frankreich sahen. Eine der Bomben soll von einem Selbstmordattentäter ausgelöst worden sein. Ersten Berichten zufolge gab es dabei vier Tote und fünfzig Verletzte, darunter elf in kritischem Zustand. Hollande, der unter den Zuschauern im Stade de France war, verließ das Stadion nach den Explosionen und begab sich ins Innenministerium, während das Spiel zu Ende geführt wurde.
* In der Bichat Straße im 10. Distrikt von Paris gab es bei Schüssen aus fahrenden Autos in mehreren Restaurants nach Angaben der Feuerwehr vierzehn Tote und zwanzig Verletzte, zehn befinden sich in einem kritischem Zustand. Weitere Schießereien ereigneten sich in der Umgebung.
* Bei Schießereien auf der nahegelegenen Avenue de la République gab es vier Tote und 21 Verletzte, elf von ihnen in kritischem Zustand.
* Auf der Charonne Straße wurden neunzehn Menschen erschossen und 23 verletzt, darunter dreizehn schwer.
* Bei Schüssen auf dem Boulevard Beaumarchais wurden sieben Personen verwundet, davon drei schwer.
* Aus mehreren anderen Gegenden im Statdtzentrum von Paris wurde über Schüsse berichtet, darunter auch aus dem Einkaufszentrum Forum des Halles.
Die Behörden waren im Laufe des Tages vor möglichen Bedrohungen gewarnt worden. Eine Bombendrohung ging um zwölf Uhr Mittags im Hotel Molitor ein, in dem die deutsche Fußballnationalmannschaft untergebracht war. Das Hotel musste evakuiert werden und wurde mit Polizeiabsperrungen abgeriegelt, bevor es durchsucht und zwei Stunden später als sicher erklärt wurde.
In einer kurzen öffentlichen Stellungnahme gab Hollande kurz vor Mitternacht bekannt, dass er die volle Mobilisierung der Sicherheitskräfte und den Einsatz des Militärs angeordnet habe. Um Mitternacht begab er sich in eine Sitzung des Ministerrats.
„Wir werden zwei Entscheidungen treffen: Der Notstand wird ausgerufen, was bedeutet, dass mehrere Plätze abgeriegelt werden und der Verkehr in bestimmten Bereichen eingeschränkt wird“, sagte er.
Hollande fuhr fort: „Der Ausnahmezustand wird landesweit verhängt. Meine zweite Entscheidung betrifft die Grenzen: Sie werden geschlossen, damit wir die Leute, die diese Verbrechen begangen haben, ergreifen können. Wir wissen, wo dieser Angriff herkommt. Wir müssen Mitgefühl und Solidarität zeigen, aber wir müssen auch zeigen, dass wir zusammen stehen.“
Was Hollande damit meint, machte er am Samstagmorgen vor der Konzerthalle Bataclan deutlich. Er rief zu einen „erbarmungslosen“ Kampf gegen den Terrorismus auf und erklärte: „Wir wollten hier sein, zwischen denen, die grauenvolle Dinge gesehen haben, um zu sagen, dass wir den Kampf führen werden, der erbarmungslos sein wird“.
In der Nacht hatte bereits der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey gegenüber ABC News erklärt, „dass wir uns im Krieg befinden“. Seitdem die Vereinigten Staaten, Frankreich und andere Länder das oberste „Management“ des Islamischen Staats (IS) getötet hätten, „müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass wir uns im Krieg befinden“.
Tief empfundenes Beileid für die Opfer und das Mitleid mit ihren Familien entbindet uns nicht von der Pflicht, die Ursachen dieser Tragödie zu untersuchen. Wenn der IS für die Angriffe verantwortlich ist, dann sind die zahllosen toten und verletzten Menschen in den Straßen von Paris die Opfer der imperialistischen Kriegstreiberei im Nahen Osten, die mehr und mehr außer Kontrolle gerät.
Vor zwölf Jahren, als die Bush-Regierung völkerrechtswidrig den Irak überfiel, weigerte sich die französische Regierung, daran teilzunehmen, weil sie voraussah, was für eine Katastrophe dieser Krieg anrichten würde. Aber 2009 beschloss Frankreich wieder volles Mitglied der Nato zu werden und seit 2011 beteiligt es sich an den Kriegen der Vereinigten Staaten und anderer Nato-Mächte im Nahen Osten – mit katastrophalen Folgen.
In den Stellvertreterkriegen, die in Libyen und Syrien einen Regimewechsel herbeiführen sollten, unterstützten die französischen Eliten islamistische Milizen. Französische Bürger wurden ermutigt, sich den Milizen anzuschließen, indem sie die Medien als „Revolutionäre“ im Kampf gegen Ghaddafi und Assad darstellten. Heute richten sich diese Kräfte, die für Terroranschläge und Guerillakrieg im Nahen Osten ausgebildet wurden, gegen das eigene Land selbst. Es ist ein politisches Klima entstanden, in dem der Terrorismus aufblüht und sich rasch ausbreitet. Als Konsequenz kehrt der Krieg heute nach Frankreich zurück.
„Die Gefahr besteht aus einer mehr oder weniger großen Gruppe von Leuten, die ihre Feuertaufe auf den Kampffeldern in Syrien, Libyen oder dem Jemen erhalten haben. Sie finden Waffen zuhause [in Frankreich] und schreiten zur Tat“, erklärte Yves Trotignon, Chef des Antiterrordienstes der französischen Auslandsaufklärung gegenüber der Presseagentur AFP. „Leute, die entschlossen und zum Sterben bereit sind, die ihr Zielobjekt studiert haben und fest dazu stehen, können vom operativen Standpunkt aus gesehen enormen Schaden anrichten. Die Zahl der Dschihadisten-Veteranen wächst mit jedem Tag.“
Seitdem die Kouachi-Brüder im Januar ihre mörderische Terrorattacke auf Charlie Hebdo verübt haben, reagiert die herrschende Klasse auf solche Gefahren nicht etwa, indem sie Abstand von ihrer Kriegspolitik für einen Regime-Wechsel in Syrien nimmt, sondern mit einer Stärkung der staatlichen Polizeigewalt und mit der Einschränkung demokratischer Grundrechte.
Nach Hollandes Ankündigungen sagten Reporter auf iTélé mehrfach, Frankreich befinde sich im Krieg, und kündigten zahlreiche harte Maßnahmen an, die das Notstandsgesetz von 1955 vorsieht. Dieses Gesetz erlaubt es den französischen Behörden, jederzeit eine Ausgangssperre zu verhängen, Privatwohnungen willkürlich zu durchsuchen, die Presse zu zensieren, Militärgerichte zu schaffen, Personen unter Hausarrest zu stellen, öffentliche Plätze abzuriegeln und Waffen im Privatbesitz zu beschlagnahmen.
Der Ausnahmezustand wurde zuletzt teilweise im Jahr 2005, als Reaktion auf eine Massenrebellion in den Vorstädten von Paris, verhängt. Ausgelöst wurden die Aufstände damals durch den Tod zweier Jugendlicher, die vor der Polizei flüchteten. Die Grundlage hierfür bildete ein aus dem Jahre 1955 stammendes Notstandsrecht, das in Algerien Anwendung fand, um den Aufstand gegen die französische Kolonialherrschaft zu unterdrücken.
Wie die Medien berichten, gibt es Pläne für Massendurchsuchungen, die heute noch im Pariser Stadtgebiet durchgeführt werden sollen. Schulen, Universitäten und alle öffentlichen Einrichtungen von Paris sind geschlossen, und einige Parteien haben ihren Wahlkampf für die Regionalwahlen nächsten Monat eingestellt.
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