Die Verfassungsrichter erklärten, für das Betreuungsgeld verfüge der Bund nicht über die notwendigen Kompetenzen. Die Länder müssen entscheiden, ob sie die umstrittene Leistung weiter zahlen wollen.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Betreuungsgeld für die heimische Erziehung von Kleinkindern gekippt. Der Bund hatte nicht die Kompetenz, das im Sommer 2013 auf Druck der CSU eingeführte Gesetz zu erlassen, wie das Bundesverfassungsgericht in einem am Dienstag in Karlsruhe verkündeten Urteil entschied.
Die Richter gaben damit dem klagenden Land Hamburg recht, das beanstandet hatte, die Länder und nicht der Bund seien für eine solche Prämie zuständig. Die Regelung sei deshalb verfassungswidrig und nichtig.
Die Bundesregierung hatte bereits nach der ersten mündlichen Verhandlung fest damit gerechnet, dass Karlsruhe das Betreuungsgeld kippen würde. Grund ist die fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dieser Frage. Der Bund ist zwar grundgesetzlich dazu verpflichtet, im Rahmen der öffentlichen Fürsorge für einheitliche Wirtschafts- und Lebensverhältnisse in Deutschland zu sorgen. Ob das Betreuungsgeld darunter fällt, war jedoch stets umstritten.
Betreuungsgeld ist Prämie ohne Arbeitsmarktbezug
Nach der Rechtsauffassung der Kläger, die nunmehr bestätigt wurde, fallen in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur solche Maßnahmen, die einen klaren Arbeitsmarktbezug haben, also der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dienen wie etwa der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz und der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur.
Das Betreuungsgeld hingegen ist vom Charakter her eher eine Prämie für die Nichtinanspruchnahme einer staatlichen Subvention. Weder muss eine Familie vorweisen, dass sie keinen Kita-Platz bekommen hat, noch soll das Betreuungsgeld auslaufen, wenn es im Westen genauso viele Kita-Plätze gibt wie im Osten.
Der Sozialsenator der Stadt Hamburg, Detlef Scheele (SPD), hatte der Bundesregierung vorgeworfen, die Bemühungen des Landes zu konterkarieren, möglichst vielen Kindern frühkindliche Bildung zukommen zu lassen. "Wir werben mit dem Besuch einer Kindertagesstätte, und die Bundesregierung wirbt mit dem Betreuungsgeld dafür, gerade dies nicht zu tun."
Das Geld sei eine "Belohnung, Kinder fernzuhalten". Zudem führte Hamburg einen Verstoß gegen die grundgesetzlich geforderte Gleichbehandlung ins Feld. Durch die Zahlung der Prämie verhalte der Staat sich nicht neutral, sondern prämiere ein Erziehungsmodell, das Frauen gravierend benachteilige. Tatsächlich wird das Betreuungsgeld zu über 94 Prozent von Frauen in Anspruch genommen.
Schwesig verteidigte die Leistung wider Willen
Die Verhandlung galt unter anderem deshalb als politisch brisant, weil das Bundesfamilienministerium das Betreuungsgeld in Karlsruhe verteidigen musste – obwohl Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) eine erklärte Gegnerin der Leistung ist.
Als Vertreter des Ministeriums schickte sie zudem ausgerechnet ihren Staatssekretär Ralf Kleindiek (SPD) nach Karlsruhe. Er hatte die Klage in seiner Zeit als Justizstaatsrat in Hamburg eigenhändig mit ausgearbeitet – und musste die umstrittene Leistung jetzt verteidigen.
Mit dem Urteil aus Karlsruhe ist das Betreuungsgeldgesetz nunmehr nichtig. Diskutiert wurden aber bereits im Vorfeld Übergangsregelungen, um den Vertrauensschutz für die Familien zu gewährleisten, die das Betreuungsgeld aktuell beziehen oder bereits beantragt haben. Hier muss es jetzt rasch zu praktikablen Lösungen kommen.
Durch die Entscheidung werden 900 Millionen frei
Strittiger dürfte die Frage sein, was jetzt mit dem Etat von 900 Millionen Euro wird, der mit der Entscheidung frei wird. Das Familienministerium möchte das Geld in den weiteren Ausbau der Kita-Betreuung stecken. Dieser Meinung ist nach einer Umfrage für die Heinrich-Böll-Stiftung auch eine Mehrheit von 54 Prozent der Bundesbürger.
"Das Betreuungsgeld ist Vergangenheit – nun muss in die Zukunft investiert werden", sagte die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Carola Reimann. "Wir wollen jetzt den Kita-Ausbau weiter vorantreiben und eine noch bessere Betreuung und frühe Förderung für unsere Kinder durch kleinere Gruppengrößen, gute Ernährung und viel Bewegung." Durch flexible Öffnungszeiten der Kitas solle zudem eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht werden.
Bayern will in Eigenregie weiter zahlen
Bayern, das schon vor der Urteilsverkündung angekündigt hatte, das Betreuungsgeld auch in Eigenregie fortzusetzen, fordert hingegen, der Bund müsse die für die Leitung eingeplanten finanziellen Mittel nun direkt an die Länder weitergeben.
Er wolle persönlich in Berlin um das frei werdende Geld kämpfen, kündigte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) an. "Das Urteil hat mich überrascht. Es war immer die Tradition des BVG, auf die Familien mit Kindern zu schauen", sagte Seehofer bei einer eigens einberufenen Pressekonferenz. "Es ist schade, aber für die Familien in Bayern kein Nachteil. Wir werden das Betreuungsgeld, so schnell es geht, einführen, und wir erwarten, dass der Bund das Geld dazu zur Verfügung stellt. Diese Gespräche werde ich selber führen."
Nach einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" soll die Bayerische Staatsregierung zudem bereits rund 100 Millionen Euro eingeplant haben, um die Auszahlung notfalls nahtlos fortführen zu können. Unabhängig davon zahlt Bayern jungen Eltern ein einkommensabhängiges Landeserziehungsgeld.
Die baden-württembergische Familienministerin Katrin Altpeter (SPD) sieht sich durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Betreuungsgeld in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt. "Das Urteil ist eine späte Genugtuung für alle, die das Betreuungsgeld von Anfang an aus rechtlichen Gründen und aus grundsätzlichen familien- und bildungspolitischen Erwägungen abgelehnt haben", sagte Altpeter.
Baden-Württemberg habe schon im November 2011 als erstes Bundesland eine Bundesratsinitiative gegen das Betreuungsgeld eingebracht und dabei neben den familienpolitischen Argumenten auch ausdrücklich Zweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes vorgetragen. Die Bundesratsinitiative sei damals am Widerstand der konservativen Länder gescheitert, so die Ministerin.
Quelle: Die Welt