10. Juni 2015
Am Sonntag trafen sich US-Präsident Barack Obama und Kanzlerin Merkel im Vorfeld des G-7-Gipfels zum Vieraugengespräch über die Griechenlandkrise. Reuters zitierte Obamas Sprecher mit den Worten:
„Die beiden Führer stimmten überein, dass Griechenland Reformen durchführen und auf den Pfad des nachhaltigen und langfristigen Wachstums zurückkehren müsse. Obama äußerte die Hoffnung, dass Athen und seine Partner einen Weg finden, der die Finanzmärkte nicht beunruhigt.“
Am Montag erhöhten Obama und Merkel den Druck auf Griechenland. Auf die Frage, ob die europäischen Regierungen zu hart mit Griechenland umgingen, sagte Obama, die G-7, der Internationale Währungsfond (IWF) und andere Institutionen müssten „Flexibilität“ zeigen, aber dabei die Dringlichkeit nicht aus den Augen verlieren. Er warnte:
„Griechenland muss einige ernsthafte Reformschritte unternehmen. Es muss konsequent sein und wichtige politische Entscheidungen treffen, die ihm auf lange Sicht gut tun werden.“
Merkel erklärte: „Im Moment kann ich nur sagen, dass wir möchten, dass Griechenland Teil der Euro-Zone bleibt.” Die Solidarität der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfordere aber, dass Griechenland „Reformen“ vorschlage und umsetze.
Obamas Bemerkungen entlarven Syrizas Perspektive. Seit Jahren feiert die Partei die Wirtschaftspolitik der Obama-Regierung als den Weg vorwärts. Seit sie an der Regierung ist, versucht sie, Washington als Bündnispartner gegen die von Deutschland vertretene harte Austeritätslinie zu gewinnen.
Die Financial Times kommentierte die eindeutigen Bemerkungen des US-Präsidenten so:
„Obama betonte an diesem kritischen Punkt der Verhandlungen öffentlich Griechenlands Verpflichtungen; damit hat er für Athen einen der letzten möglichen Auswege versperrt.“
Syriza wurde auf einer massiven Oppositionswelle gegen jahrelange Kürzungen ins Amt getragen. Die Partei behauptete, ein „ehrlicher Kompromiss“ mit den Vertretern des globalen Finanzkapitals und die Unterstützung der Obama-Regierung könne die Kürzungspolitik beenden. Aber Syrizas prokapitalistisches Programm hat nur dazu geführt, dass die internationale Finanzoligarchie wieder die Initiative übernehmen konnte, während die Arbeiterklasse ruhiggestellt wird.
Die Gespräche von Ministerpräsident Alexis Tsipras mit den internationalen Gläubigern Athens sind gescheitert. Seither arbeitet die Syriza-Regierung verzweifelt an neuen Vorschlägen. Am Freitagabend informierte Tsipras das griechische Parlament, er habe eine Reihe neuer Sparmaßnahmen zurückgewiesen, welche die sogenannten „Institutionen“, d.h. die Europäische Union (EU), die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfond (IWF), ins Spiel gebracht hatten.
Die EU reagierte empört. Der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, nannte Tsipars effektiv einen „Lügner“. Am Sonntag habe Tsipras „versprochen, bis letzten Donnerstagabend einen zweiten Vorschlag zu präsentieren. Dann hat er gesagt, er werde ihn am Freitag vorlegen und dann versprach er, am Samstag zu telefonieren.“
Doch nichts sei passiert, erklärte Juncker. Er beschwerte sich, dass Tsipras dem Parlament gesagt habe, „das Angebot der drei Institutionen“ sei ein Ultimatum gewesen. Juncker fuhr fort: „Er weiß genau, dass das nicht stimmt.“
Wahrscheinlich wurde Syriza die Möglichkeit eingeräumt, über diesen oder jenen geringfügigen Punkt zu verhandeln. Aber im Wesentlichen war das Dokument der EU, der EZB und des IWF in der Tat ein Ultimatum. Es besteht aus einer Liste brutaler Sparmaßnahmen, wie sie Griechenlands Gläubiger fordern. Die meisten müssen bis zum ersten Juli umgesetzt sein.
Die Gespräche stehen auf Messers Schneide. Syriza setzt dabei alles daran, mit den Gläubigern zu einer Einigung über die Sparmaßnahmen zu kommen.
Ohne eine Einigung wird Syriza die fälligen 7,2 Milliarden Euro nicht ausgezahlt bekommen. Es ist die Schlusstranche von insgesamt 240 Milliarden Euro, die das Land seit 2010 an Hilfskrediten erhalten hat, um seine Staatsschulden von insgesamt 300 Milliarden Euro bedienen zu können. Ohne eine Vereinbarung wäre Griechenland daher rasch zahlungsunfähig.
Am Montag gab Athen bekannt, dass Kanzleramtsminister Nikos Pappas zusammen mit dem stellvertretenden Außenminister Euclid Tsakalotos nach Brüssel fliegen werde, um Syrizas Verhandlungsdelegation bei den Institutionen zu leiten.
Der griechischen Tageszeitung Kathemerini zufolge „konzentriert sich Athen darauf, die steuerpolitischen Maßnahmen näher an das Einnahmeziel heranzuführen, das die Geldgeber fordern.“
Der Zeitung zufolge sei Griechenland zwar zu weiteren Konzessionen bereit, unter anderem zu Einschränkungen „bei der Frühverrentung, die hundert Millionen Euro einsparen sollen“, stimme aber nicht mit allen geforderten Reformen überein. „Auch in der Frage der Arbeitsmarktreformen liegen die Positionen weit auseinander“, schreibt Kathemerini.
Tsipras wird Merkel und den französischen Präsidenten François Hollande am Rande eines EU-Gipfels am 10. und 11. Juni treffen.
Am Montag flog der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis nach Berlin, um seinen Amtskollegen Wolfgang Schäuble zu treffen. In einer Rede am Montagabend in Berlin sagte Varoufakis, Syriza unterstütze zahlreiche Reformen. Er warnte aber vor dem unvermeidlichen Ausbruch sozialer Unruhen, wenn die Regierung tiefe Kürzungen bei der schon verarmten Bevölkerung akzeptieren würde.
Er sagte: „Stellen sie sich vor, ich stellte mich vor unser Parlament und würde sagen: Der Weg aus der Krise erfordert die Kürzung der 350-Euro-Renten um vierzig Prozent und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Medikamente…“ Gleichzeitig machte Varoufakis viel Wind um seine Ablehnung einer Steuererhöhung auf Strom von 13 auf 23 Prozent.
Er bat die Institutionen um etwas Spielraum und sagte:
„Wenn sie unsere Bevölkerung weiter auspressen, werden wir nie reformierbar werden. Wir können die Bevölkerung mitnehmen, aber nicht, wenn ihr uns zwingt, ihr noch mehr Austerität aufzuhalsen.“
Obama, Merkel, Hollande und die Institutionen stimmen darin überein, dass Syriza noch viel schärfere Sparmaßnahmen durchsetzen muss. Aber hinter den Kulissen wachsen die Spannungen. Am Montag berichtete der griechische Fernsehsender Mega TV gestützt auf einen deutschen Beamten, dass US-Finanzminister Jack Lew Schäuble kürzlich aufgefordert habe, „Griechenland zu unterstützen“. Schäuble soll geantwortet haben: „Geben Sie doch selbst fünfzig Milliarden Euro für die Rettung Griechenlands.“
Der britische Guardian zitierte einen Berliner Reporter, der auf Mega TV gesagt haben soll:
„Daraufhin sagte der amerikanische Politiker nichts mehr. Wenn man die deutschen Politiker fragt, ist es immer so: Wenn es ans Geld geht, schweigen die Amerikaner.“
Weil es immer noch keine Vereinbarung gibt, stehen die griechischen Banken kurz vor dem Kollaps. Die Sparer, die einen erzwungenen Austritt aus der Eurozone fürchten, ziehen immer mehr Geld ab. Neuesten Zahlen zufolge sind die Einlagen unter 130 Milliarden Euro gesunken, der niedrigste Wert seit elf Jahren. 4,9 Milliarden Euro wurden allein im April abgezogen.
Die Rating Agentur Moody’s warnte am Montag, dass die Abflüsse im Mai die Gefahr von Kapitalverkehrskontrollen, z.B. einer Begrenzung der Auszahlung an Geldautomaten, „deutlich“ steigerten.
In der Financial Times kommentierte Wolfgang Münchau, dass weder die Vorschläge Syrizas noch der griechischen Gläubiger die Probleme der griechischen Wirtschaft lösen würden. Er schrieb:
„Die Gläubiger verlangen einen Sparkurs, der unmöglich durchgesetzt werden kann, aber notwendig ist, damit Griechenland seine Schulden auf ein verkraftbares Niveau reduzieren und gleichzeitig seine Verpflichtungen erfüllen kann.“
Das sei „eine schlechte Kombination“, fügte er hinzu.
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