Mittwoch, 20. Mai 2015

Merkel und das Klima



Vor dem Brandenburger Tor schreien sich Demonstranten die Kehlen heiser. Sie wollen ihre "Klimakanzlerin" zurück. Und Angela Merkel verkündet tatsächlich einen kleinen Coup - doch ein Dolmetscher funkt ihr dazwischen.

Nicht nur der Klimaschutz ist spät dran, sondern auch der Gast aus Paris. Angela Merkel steht schon eine ganze Weile im mild-roten Blazer vor der Tür einer Bank am Brandenburger Tor und macht die Raute. François Hollande, der französische Präsident, verspätet sich.


Diese sechs Minuten sind für ein paar Hundert Umweltschützer ein Fest. Sie können ihr Glück kaum fassen, dass die Kanzlerin nicht gleich im Gebäude verschwindet. Die Demonstranten legen los, dichten die Melodie der Fußball-Hymne "Zieht den Bayern die Lederhosen aus" einfach um: "Wo ist unsere Klimakanzlerin?" Merkel guckt ein paar Mal sparsam rüber zu den Leuten, widmet sich dann wieder ihrem Plausch mit Frankreichs Außenminister Laurent Fabius und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks.




Für die viel beschäftigte Merkel ist es ein besonderer Tag. Als 1995 die Mutter aller Klimaschutzabkommen, das Kyoto-Protokoll, verabschiedet wurde, war sie Umweltministerin. Den Petersberger Klimadialog gründete sie 2010 selbst, jetzt findet die sechste Auflage statt, über 30 Länder haben Minister nach Berlin geschickt, um den Weltklimagipfel im Dezember in Paris vorzubereiten. Merkel fühlt sich sichtlich wohl in der Runde, so fing ja bei ihr auch mal alles an, damals im Kabinett von Helmut Kohl.

Alles passt unter einen HutBekannt dafür, tief durch alle Details zu wühlen, kokettiert sie vor den Gästen, beim Klimaschutz sei das gar nicht mehr so und ihr auch ganz lieb. Zum Beispiel am Punkt, wer denn prüft, ob die Staaten die für Paris angekündigten Klimaschutzziele überhaupt einhalten: "Das überlasse ich mal den Umweltministern, das schöne Kapitel." Die Ressortchefs sollten jedoch auf der Hut sein. Sie wisse, wie spannend das sei, in die Expertensprache mit Fußnoten, Abkürzungen und "lieben Formulierungen" einzutauchen. Die Minister dürften das große Ganze nicht aus dem Blick verlieren: "Sonst verheddern wir uns in einem Unterholz, wie man in Deutschland sagt", klärt Merkel die Klima-Mitstreiter auf.

Die hören gespannt zu. Denn bis ins ferne Ausland ist die Kunde gedrungen, dass die einst global als "Klimakanzlerin" gefeierte Merkel zu Hause arge Probleme hat, die eigenen CO2-Einsparziele bis 2020 zu schaffen. Das wäre für die CDU-Chefin eine ordentliche Blamage. Schließlich will sie Anfang Juni auf Schloss Elmau im G7-Club der führenden westlichen Industrienationen zeigen, dass Klimaschutz, Energiewende, Wachstum und Wohlstand sehr wohl unter einen Hut zu bringen sind.

Um das Ziel 40 Prozent weniger Kohlendioxid-Ausstoß als 1990 noch zu packen, hat sich Merkels Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel - mit einem Kabinettsbeschluss in der Tasche - eine Strafabgabe für alte Kohlemeiler ausgedacht. Die Kohlelobby, Union und Gewerkschaften laufen Sturm gegen den Plan des SPD-Chefs. Umweltschützer wollen, dass Merkel hier Kante zeigt und den Weg für einen schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle freimacht. Zumal Gabriel inzwischen die Abgabe wieder aufweichen will. Merkel hält sich bedeckt: "Ich glaube, dass das Instrument der Abgabe eine Möglichkeit ist. Das wird zurzeit diskutiert." Für Mittwochabend ist nun ein "Kohle-Gipfel" im Kanzleramt angesetzt, vielleicht legt sie sich dann fest.

Mehr Geld für Entwicklungsländer


Ganz mit leeren Händen erscheint die Kanzlerin aber nicht. Sie zückt für den Klimaschutz das Scheckbuch. Entwicklungsländer, die unter den dramatischen Folgen des Klimawandels am meisten leiden, sollen künftig doppelt so viel Hilfe wie bislang aus Deutschland bekommen - vier Milliarden Euro pro Jahr. Bis kurz vor dem Hollande-Besuch bearbeiten Merkel und Hendricks den Finanzminister. Wolfgang Schäuble willigt ein, weil es dank der guten Konjunktur mehr Spielraum gibt.

Dumm nur, dass Merkels kleiner Klima-Coup dann bei der Konferenz etwas untergeht. Der Dolmetscher übersetzt nämlich den anwesenden Ministern, Deutschland wolle seine "climate action" verdoppeln - das Wort "finance" fällt nicht, berichten Teilnehmer. Während die Deutschen also Vorbild für andere G7-Staaten sein wollen, um die bis 2020 noch klaffende 70-Milliarden-Dollar-Lücke beim Klimafonds zu schließen, reist Hollande seit Wochen um die Welt, um den UN-Gipfel in Paris zu retten. Er habe "seinen Pilgerstab" in die Hand genommen, erzählt der Sozialist.

Hollande reist nach Vanuatu


Hollande flog dahin, wo es beim Klimaschutz wehtut. Ins kleine Pazifik-Inselreich Vanuatu, wo der Wirbelsturm "Pam" eine Spur der Verwüstung hinterließ. Auf die Philippinen, wo ein Zyklon vielen Menschen das Leben kostete. Die Weltgemeinschaft dürfe die Schreie der Schwächsten beim Klimawandel nicht länger überhören, mahnt Hollande: "Diese Länder sind die echten Whistle Blower unseres Planeten." Die Aussichten für Paris aber sind nicht gerade rosig. Keine 40 von 195 Staaten haben bisher eigene Ziele eingereicht - so dürfte es ziemlich schwer werden, die Erderwärmung langfristig auf zwei Grad zu begrenzen.

Quelle: n-tv.de , Tim Braune, dpa

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