Ein Beitrag von Johannes Stern
Kaum ein Ereignis der vergangenen Wochen hat den politisch reaktionären Charakter der Europäischen Union und ihrer Eliten besser entlarvt, als der Empfang des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Brüssel. Nachdem er vom belgischen König Philippe mit militärischen Ehren empfangen worden war, rollte die EU dem türkischen Autokraten den roten Teppich aus, um diesen zu verpflichten, die europäischen Außengrenzen abzuriegeln und so den Flüchtlingsstrom aus Syrien über die sogenannte Balkan-Route zu stoppen.
Kaum ein Ereignis der vergangenen Wochen hat den politisch reaktionären Charakter der Europäischen Union und ihrer Eliten besser entlarvt, als der Empfang des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Montag in Brüssel. Nachdem er vom belgischen König Philippe mit militärischen Ehren empfangen worden war, rollte die EU dem türkischen Autokraten den roten Teppich aus, um diesen zu verpflichten, die europäischen Außengrenzen abzuriegeln und so den Flüchtlingsstrom aus Syrien über die sogenannte Balkan-Route zu stoppen.
Bereits bevor hochrangige EU-Vertreter, darunter der sozialdemokratische Parlamentspräsident Martin Schulz, der liberale Ratspräsident Donal Tusk und der konservative Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Erdogan in gemeinsamen Gesprächen Honig um den Mund schmierten, waren in den Medien Teile des schmutzigen Deals bekannt geworden, der zwischen der EU und der Türkei vorbereitet wird.
Am Sonntag hatte die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung unter der Schlagzeile „Europa will die Ägäis abriegeln“ von einem Aktionsplan berichtet, der zwischen der Europäischen Kommission und Ankara ausgearbeitet worden sei. Laut diesem Plan habe sich die türkische Regierung dazu verpflichtet, die Grenzen zu Griechenland in enger Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung und der europäischen Grenzschutzagentur Frontex dicht zu machen. Dazu sollen der FAS zufolge unter anderem Boote unter dem Kommando von Frontex die östliche Ägäis patrouillieren „und alle Flüchtlinge in die Türkei zurückführen“.
In der Türkei selbst sollen mit EU-Hilfsgeldern sechs neue Lager für insgesamt etwa zwei Millionen Flüchtlinge entstehen. Im Gegenzug würden sich die EU-Staaten dazu verpflichten, eine halbe Million Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa umzusiedeln. Außerdem gebe es Überlegungen, die Türkei zum sogenannten „sicheren Herkunftsstaat“ zu erklären. Dies würde bedeuten, dass Flüchtlinge, die es trotz der scharfen Maßnahmen aus der Türkei in die EU schaffen, sofort wieder in das Land abgeschoben werden können, in dessen Osten de facto ein Bürgerkrieg herrscht und in dem die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Laut FAS sei der Plan bereits in der letzten Woche erarbeitet worden, wobei es eine enge Abstimmung zwischen dem Präsidenten der europäischen Kommission Jean-Claude Juncker und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegeben habe. Dem Blatt zufolge soll der endgültige Plan bis zum nächsten EU-Gipfel Mitte Oktober stehen und dann so zügig wie möglich umgesetzt werden.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die EU will die Türkei für ihre brutale Festung-Europa-Politik einspannen und bietet Erdogan als Gegenleistung neben Milliardengeldern ihre politische Unterstützung bei den bevorstehenden Parlamentswahlen am 1. November in der Türkei an. Erdogans Ziel, die pro-kurdische HDP mit seinem brutalen militärischen Vorgehen gegen die Kurden im Osten des Landes zu schwächen und sie damit wieder aus dem Parlament zu treiben, war bislang nicht aufgegangen. Er kann daher einige Zugeständnisse von Seiten der EU gut gebrauchen.
Die gemeinsame Pressekonferenz mit Erdogan nutzte Tusk dann auch, um der Türkei neben der Unterstützung bei der Grenzsicherung unter anderem eine erleichterte Visavergabe an türkische Staatsbürger in Aussicht zu stellen. Die Türkei sei ein wichtige Partner und es sei „unbestritten“, dass Europa gemeinsam mit Ankara seine Grenzen „besser handhaben“ müsse.
Der Kurswechsel der EU ist so offensichtlich, dass die rechte Bild-Zeitung verdutzt die Frage stellte: „Ist Erdogan jetzt wieder unser Freund?“ In den vergangenen Monaten hatten die EU und allen voran deutsche Politiker und Medien den „Autokraten“ (Süddeutsche Zeitung) und „modernen Kalifen“ (Die Welt) wegen seines innen- und außenpolitischen Kurses immer wieder scharf kritisiert.
Als das Erdogan-Regime vor zwei Jahren die sogenannten Gezi-Park-Proteste brutal niederschlagen ließ, erklärte etwa der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Abgeordneten im europäischen Parlament, Herbert Reul: „Wo Blut geflossen ist, darf die EU-Kommission nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Eine Eröffnung weiterer Verhandlungskapitel würde von der Regierung Erdogan als Belohnung für die brutale Niederschlagung der friedlichen Bürgerproteste rund um den Taksim-Platz angesehen werden.“
Weiter zu nahm die Kritik, als sich Erdogan Ende Juli der westlichen Kriegskoalition gegen den Islamischen Staat (IS) anschloss, allerdings vor allem um Luftangriffe gegen kurdische Kräfte zu fliegen. „Die türkische Politik scheint einmal mehr auf Abwegen“, erklärte der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, damals. Zwar sei zu begrüßen, dass die türkische Regierung nach Jahren des Wegsehens endlich gegen den IS in Syrien und im Irak vorgehe und den USA erlaube, Militärbasen zu nutzen. „Doch die zeitgleiche Bombardierung von Stellungen der PKK“ zeige, „dass Erdogans Prioritäten offensichtlich weiter nicht der Bekämpfung des IS gelten“, sondern im Ergebnis die Gefahr in sich bergen, „den Krieg auszuweiten“.
In Brüssel ließ Erdogan keinen Zweifel daran, dass er von der EU mehr erwartet als einige symbolische Gesten. Die europäische Mächte sollen jede Kritik an ihm fallen lassen und vor allem auch seine außenpolitischen Pläne unterstützen. Ankara drängt seit langem auf die Einrichtung einer Flugverbotszone in Syrien. Zum einen, um den Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen, aber vor allem auch um zu verhindern, dass ein zusammenhängendes Kurdengebiet in Nordsyrien entsteht und die syrische Regierung von Baschar al-Assad mit russischer und iranischer Unterstützung in der Lage ist, verlorenen Boden gut zu machen.
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Tusk erklärte Erdogan dann auch, dass zur „Lösung des Flüchtlingsproblems“ außer einer Flugverbotszone auch die Einrichtung einer „Sicherheitszone zum Schutz vor Terrorismus“ erforderlich sei. Dabei ließ er keinen Zweifel daran, dass er unter dem „Kampf gegen Terrorismus“ sowohl den Krieg gegen den IS, als auch die Unterdrückung der Kurden und den Sturz der Assad-Regierung versteht. Er bezichtigte den syrischen Präsidenten des „Staatsterrorismus“ und erklärte, der Islamische Staat sei „genauso eine Terrororganisation wie die PKK oder die PYD“. Es sei unmöglich „von guten oder schlechten Terroristen zu sprechen“. Sie alle hätten „Blut an ihren Händen“ und müssten bekämpft werden.
Erdogan erklärte: „Die Türkei ist in dieser Hinsicht entschlossen und wir glauben, dass unsere Freunde in der EU an diesem Punkt die notwendige Sensibilität zeigen werden.“
Getrieben von ihrer Entscheidung, die Flüchtlingskrise mit brutalsten Polizeimethoden und militärischen Mitteln zu lösen, setzen die europäischen Mächte trotz interner Spannungen und ihrer engen Verbindungen auch zu den kurdischen Kräften in der Region nun wieder verstärkt auf Ankara. „Wir brauchen die Türkei. Wir können es nicht allein schaffen“, hatte der EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits vor dem Treffen mit Erdogan erklärt. Laut ihm sei die EU nun auch bereit, über eine „Pufferzone“ in Syrien entlang der türkischen Grenze zu sprechen.
Wie weit die europäischen Eliten dabei zu gehen bereit sind, machte ein Kommentar von Klaus-Dieter Frankenberger in der FAZ unter dem Titel „Gespräche ohne Tabu“ deutlich. Der Alpha-Journalist, der über beste Verbindungen zur Bundesregierung und zu Nato-Kreisen verfügt, forderte, dass man den von Ankara verlangten Preis „natürlich“ zahlen müsse, um die angestrebten Ziele durchzusetzen. Dazu gehörten neben dem „Verzicht auf Visazwang im Reiseverkehr“, der „Zurückhaltung im Urteil über die türkische Kurdenpolitik und die innere Entwicklung des Landes“ auch „die Abstimmung über ein gemeinsames Vorgehen im Syrien-Konflikt“.
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