Mittwoch, 30. September 2015

Gauck macht im Mainzer Dom Stimmung gegen Flüchtlinge


Ein Artikel von Johannes Stern

Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang des Monats ihr Mitleid mit Flüchtlingen heuchelte und sich damit zumindest oberflächlich an die große Hilfsbereitschaft und die vielen Solidaritätsbekundungen der Bevölkerung mit den Flüchtlingen anpasste, führen Politik und Medien eine aggressive Kampagne, diese Stimmung zu kippen und auf einen offen ausländerfeindlichen Kurs einzuschwenken.

In den letzten Wochen verging kaum ein Tag, an dem nicht eine führende deutsche Tageszeitung oder einflussreiche Politiker oder Akademiker gegen Flüchtlinge hetzten. Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung von der „Bedrohten Heimat“ schwadronierte und die Welt erklärte, dass „Flüchtlinge nicht automatisch Bürger sind“, forderten die Humboldt-Professoren Herfried Münkler und Jörg Baberowski, „diese Menschen zu Deutschen [zu] machen“ (Münkler) und endlich das „Gerede von der Willkommenskultur“ zu beenden (Baberowski).

Einer der jüngsten Höhepunkte dieser Kampagne war sicherlich der Jubelempfang, den die bayerische Regierungspartei CSU und ihr Vorsitzender Horst Seehofer dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán auf ihrer Klausurtagung im Kloster Banz Anfang letzter Woche bereiteten. Orban steht wie kaum ein Zweiter in Europa für eine restriktive und brutale Flüchtlingspolitik, die das Hochziehen von Stacheldrahtzäunen, Massendeportationen und den Einsatz des Militärs und faschistischer Schlägerbanden gegen Flüchtlinge beinhaltet.

Einer hatte bislang noch gefehlt, um der rechten, menschenverachtenden Kampagne seinen pastoralen Stempel aufzudrücken und die Bevölkerung auf die Umsetzung dieser Politik auch in Deutschland vorzubereiten: Bundespräsident Joachim Gauck.

Am Sonntag war es soweit. Gauck sprach zur Eröffnung der 40. Interkulturellen Wochen der Kirchen im Dom zu Mainz. Es war schwer zu sagen, was abstoßender ist: die dumpfe Hetze eines Seehofer oder Orbán oder die moralisierenden Predigten des amtierenden Bundespräsidenten, der wie immer bemüht war, seine reaktionäre Agenda mit einigen Phrasen von „Menschlichkeit“, „Toleranz“, „Hilfe“ und sogar den „Lehren aus der Schreckenszeit des Nationalsozialismus“ zu garnieren.

Hier einige Beispiele der Gauckschen „Flüchtlingsliebe“, die mit zunehmender Rededauer immer offener in alttestamentarischen Hass, apokalyptische Prophezeiungen und direkte Drohungen gegen Flüchtlinge umschlug:

„Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“

„Unser Asyl- und Flüchtlingsrecht fragt bei jedem Einzelnen nur danach, ob die Voraussetzungen der Schutzgewährung vorliegen. Es bemisst sich nicht nach Zahlen. Und doch wissen wir: Unsere Aufnahmekapazität ist begrenzt, auch wenn noch nicht ausgehandelt ist, wo die Grenzen liegen.“

„Wenn Menschen zu Hunderttausenden zu uns kommen, aus einem fernen Land mit einer fremden Kultur, ihre ganze Habe oftmals in einer Plastiktüte, dann kommen mit den Menschen Herausforderungen – und, ja, auch Konflikte. Das ist völlig unvermeidlich.“

„Selbst der größte Ideenreichtum, selbst hohe finanzielle Mittel werden aber nicht ausreichen, um Konflikte gänzlich abzuwenden. In diesen Wochen und in absehbarer Zukunft werden wohl weniger Wohnungen fertiggestellt, als Menschen kommen. Wettbewerb um Wohnraum, besonders preiswerten Wohnraum, dürfte unvermeidlich sein. Es ist ungewiss, ob wir überall sofort hinreichend Plätze in Kindertagesstätten oder Schulen anbieten können.“

Den „Fundamentalisten, Antisemiten und anderen Ideologen“, die „Konflikte aus ihrer Heimat auf deutschem Boden weiterführen wollen“, drohte Gauck: „Wir wollen in diesem Land keinen religiösen Fanatismus. Sogenannte Gotteskrieger müssen wissen: Der Rechtsstaat duldet keine Gewalt. Er wird die Täter konsequent verfolgen.“

Schließlich schrieb er den anwesenden Politikern und geistlichen Oberhäuptern, darunter Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD, und Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, ins Stamm- bzw. Kirchenbuch: „Auch unpopuläre Entscheidungen und unbequeme Schritte werden notwendig sein.“ Darunter falle, dass „Staaten und ein Staatenverbund wie die Europäische Union ihre äußeren Grenzen schützen“ müssten. Denn nur so seien „die Kernaufgaben eines staatlichen Gemeinwesens [zu] erfüllen: die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und letztlich des inneren Friedens.“

Diese im Kern rechte Festung-Europa- und Law-and-Order-Politik im priesterlich-staatsmännischen Gewand wurde von weiten Teilen der bürgerlichen Medien bejubelt.

Gauck habe „unbequeme Wahrheiten ausgesprochen“ (FAZ) und sich „von Merkels Flüchtlingskurs abgesetzt“ (Die Welt). Die Süddeutsche Zeitungkommentierte: „Was das Staatsoberhaupt dem völkerfreundlich gestimmten Kirchenvolk vorgetragen hat, hätte man in kriegerischen Zeiten, eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede genannt.“ Die Botschaft des Bundespräsidenten laute: „Leute, zieht euch warm an und macht euch gefasst auf Konflikte, Verteilungskämpfe, womöglich auch auf die Verteidigung demokratischer Werte.“ In Zukunft dürfe der Bundespräsident aber „gern noch härter anpacken“.

Vor allem der Vergleich mit der „Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede“, mit der Winston Churchill Großbritannien im Zweiten Weltkriegs auf die Härten und Leiden des Kampfs gegen Nazi-Deutschland einschwor, verdeutlicht, was die deutschen Eliten an ihrem Bundespräsidenten schätzen und auch zukünftig von ihm erwarten.

Es sind nunmehr fast zwei Jahre, seitdem Gauck am 3. Oktober 2013 seine mittlerweile berüchtigte Festansprache zum Tag der deutschen Einheit hielt. Damals forderte er, dass Deutschland wieder eine Rolle „in Europa und in der Welt“ spielen müsse, die seiner Größe und seinem Einfluss tatsächlich entspreche. „In einer Welt voller Krisen und Umbrüche“ hatte Gauck erklärt, sollten „wir uns nicht der Illusion hingeben, wir könnten verschont bleiben von den politischen und ökonomischen und militärischen Konflikten, wenn wir uns an deren Lösung nicht beteiligen“.

Die durch die westliche Kriegspolitik verursachte Flüchtlingskrise sieht Gauck nun als Chance, eben diesen Kurs fortzusetzen. Im Dom zu Mainz erklärte er zynisch: „Verfolgung, Krieg und Bürgerkrieg sind nicht nur Geschichte, nein, sie sind Gegenwart. Sie treiben Menschen in die Flucht, und das erleben wir gerade. Wir erleben, dass wir eigentlich viel intensiver Fluchtursachen bekämpfen müssen und dass wir es doch nicht immer können.“

Es bleibt abzuwarten, ob Gauck am 25. Jahrestag der deutschen Einheit noch einen Schritt weiter geht und eine Kriegsrede im Namen der „Bekämpfung der Flüchtlingsursachen“ hält. Eines hat Gaucks jüngste Predigt aber bereits deutlich gemacht: Die herrschende Elite reagiert auf die wachsende Kluft zwischen ihr und der Bevölkerung mit einer aggressiven Gegenoffensive, die sich nicht nur gegen die Flüchtlinge, sondern letztlich gegen die gesamte Arbeiterklasse richtet.


Quelle: (wsws.org)

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