Freitag, 19. Juni 2015

Repressive Flüchtlingspolitik: Ungarn will Asylbewerber in Arbeitslagern internieren

Wie berichtet, wird die ungarische Regierung ein neues Gesetzespaket für die zügigere Abfertigung und Abschiebung von Flüchtlingen, die über Ungarn in die EU einreisen, erlassen. Begleitet wird die Initiative durch eine an finsterste Zeiten erinnernde Diffamierungskampagne gegen Flüchtlinge im rassistischen Jargon der "Wannsee-Konferenz", verbunden mit EU-Bashing. Das ungarische Helsinki Komitee warnt eindringlich, dass das ungarische Sündenbock-Modell in Europa Schule machen könnte und kontert mit Fakten und Empfehlungen.




Zu den Gesetzesvorhaben der Regierungspartei gehören ad-hoc-Abschiebungen bei Qualifizierung als "Wirtschaftsflüchtling" seitens der Exekutive, also ohne ein ordentliches Verfahren im rechtsstaatlichen Rahmen und ohne Zugang zu Rechtsbeistand für den Flüchtling. Desweiteren soll die bereits praktizierte, wenn auch von UNO und Höchstgericht als rechtswidrig eingestufte Praxis der pauschalen,dauerhaften Internierung von "illegal" Einreisenden legalisiert und um eine Arbeitspflicht (nicht auf dem freien Arbeitsmarkt) erweitert werden. Die Dauer von Asylverfahren soll auf wenige Tage, höchstens 3 Wochen verringert werden, auch hier zum Preis der Aufgabe rechtlicher Gleichbehandlung und Fairness.

Ungarns Regierungschef Orbán und seine treuesten Untergebenen haben die Pariser Anschläge zum Anlass für eine beispiellose Hetze gegen die Flüchtlinge, die über Ungarn in die EU einreisen, genommen. Sie wurden vom Premier pauschal als überwiegend organisierte Kriminelle bezeichnet sowie als Quelle des Terrorismus diffamiert, wiewohl es bisher keinerlei Belege dafür gab. Im Gegenteil, das Antiterrorzentrum TÉK, eine de facto Orbán unterstellte Privat-NSA, hat bisher lediglich einige Personen verhaftet, die aus dem Westen über Ungarn in die IS-Regionen reisen wollten. Fidesz-Vize Kósa goss weiter Öl ins Feuer, in dem er meinte, dass 95% der Einreisenden eine "islamische Identität" hätten, lies: also ohnehin suspekt sind, Fraktionschef Rogán griff das auf und ergänzte, dass Ungarn diese "artfremden Kulturen" schaden könnten. Dazu passt, dass die ungarische Regierung Nothilfen für Krisenländer ausschließlich für "christliche Gemeinden" leistet.

Fidesz meint, dass "Ungarn keine Wirtschaftsflüchtlinge will und braucht", allerdings will kaum einer der Flüchtlinge in Ungarn bleiben. Fakt ist jedoch auch, dass sich die Zahl der illegalen Grenzübertritte binnen drei Jahren verzwanzigfacht hat, was man der laschen Gesetzgebung der EU ankreidet. Orbán forderte einen generellen "Einwanderungsstopp", also letztlich eine Mauer um die EU, er - sowie sein Sozialminister Balog - schlugen zudem vor die "europäischen Zigeuner" für die "Arbeiten heranzuziehen", die "bisher von Einwanderern gemacht wurden". Das bedeutet bei Lichte nichts weiter, als dass der ungarische Regierungschef eine Art europäischen Arbeitsdienst für Sinti und Roma vorschlug, - Rassismus in Reinform.

Untermauern will die Regierung ihre Pläne mit einer "nationalen Konsultation", in der u.a. Fragestellungen vorkommen wie: Wünschen Sie weiter eine unkontrollierte Zuwanderung nach Ungarn etc. - Wie die Antworten aussehen, kann man sich vorstellen.

In Ungarn gibt es eine Flüchtlingswelle, aber keine Einwanderungswelle. 2014 blieben von 42.000 Asylantragstellern in Ungarn nur 535 im Land, hingegen wanderten seit 2010 rund 550.000 Menschen aus Ungarn aus, auch die Zahl der EU-Ausländer in Ungarn sank um netto 3.000.

Andererseits organisierte Orbán Einwanderung selbst und zwar über ethnische Ungarnbzw. jene, die sich als solche definieren ließen in den Vor-Trianon-Gebieten, in denen er eine halbe Million ungarische Pässe verteilen ließ. Nur rund jeder 20. davon siedelte sich jedoch in Ungarn an, als Facharbeiter oder Billigkraft. Orbán kalkulierte hauptsächlich auf die Wählerreserve.

Doch diese Politik hat noch einen anderen Hintergrund, der im “nation-building” des “neuen Ungarn” begründet liegt. Orbán sprach des öfteren davon, dass "ein Volk, das sich biologisch nicht reproduzieren kann, dem Untergang geweiht ist." Das ist nicht nur einfach die völkische Phrase eines Rechtspopulisten, sondern reinster Wannsee-Konferenz-Jargon. Man promotet ein rassisch reines Volk, betrachtet Vermischung als schädlich (Rassenschande) und kreiert ein "weißes" Ungarn, das es ethnologisch nie gegeben hat - ganz genauso wie bei Deutschen/Ariern in den 30ern.

Außenstaatssekretär Károly Kontrát fasste die "Einwanderungsdebatte" bei der entscheidenden Parlamentssitzung am Freitag nochmals zusammen. Ungarn sollte "kein Ziel für Wirtschaftsflüchtlinge" werden, denn wenn noch mehr Flüchtlinge kämen, würde Ungarn über kurz oder lang nicht nur Transitland bleiben. Das Land könne außerdem die "wirtschaftlichen Lasten", die von "Wirtschaftsflüchtlingen" verursacht würden, nicht länger tragen, daher brauche es "schnellere und effektivere Abwehrmaßnahmen"

Kontrát vermischte einmal mehr die Begriffe Transitflüchtling und Wirtschaftseinwanderer und verwies darauf, dass die Polizei allein seit Anfang 2015 30.436 illegal Eingewanderte aufgriff, 25.468 davon aus dem Kosovo. Im ganzen zweiten Halbjahr waren 21.000 Kosovaren in Ungarn angekommen, 8.700 aus Afghanistan, weitere aus Syrien und Somalia, Irak, also aus unmittelbaren Kriegsregionen.

Linksliberale Oppositionsparteien und NGO´s, voran das ungarische Helsinki Komiteedes Europarates haben dem Propaganda-Schwall der Regierung, der die Züge einer klassischen Sündenbock-Stellvertreter-Konstruktion trägt, einige Fakten entgegengestellt. In einem offenen Brief an die amtliche Nachrichtenagentur warnten die NGO´s vor der Verbreitung falscher Fakten über Flüchtlinge. Die Regierung "benutze Flüchtlinge, umAngst und Sündenböcke zu kreieren". Das sei gefährlich. "Das Letzte, was Ungarn brauche, seien teure Polizeistaat-Maßnahmen und die Aufpeitschung von Anti-EU-Stimmungen."

Allein der Titel der Sondersitzung des Parlaments vom Freitag war irrfeührend, denn Ungarn habe kein Problem mit Wirtschaftsflüchtlingen. Man sollte einen klarenUnterschied zwischen Flüchtlingen und Einwanderung machen und beides auch unterschiedlich handhaben. Ärzte aus Rumänien oder der Ukraine, deutsche Unternehmen oder indische Restaurants gäbe es in Ungarn heute nicht, wenn wir Einwanderung ausschließen, so die Argumentation. Auch einen Schachmeister mit vietnamesischen Wurzeln hätte Ungarn nicht, auf den das Land so stolz sein könne. 

Bei allen Erschwernissen durch die aktuelle Flüchtlingswelle, sollte man die Kirche im Dorf lassen. Ungarn habe mit den geringsten Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in der gesamten EU und wandte im Vorjahr gerade 0,015% seines Budgets (bzw. 4,5 Mio. EUR oder 1/5 Fußballstadion) für Flüchtlingskosten auf. Viele weiteren Kosten würden - entgegen der Behauptung der Regierung sie sei im Stich gelassen - von der EU finanziert und Ungarns Asylverfahren sind bereits unter den kürzesten in Europa. Die Aufforderung von Orbán, internierte Flüchtlinge für die Kosten ihrer Unterbringung und des Verfahrens notfalls zur Arbeit zu zwingen, sei schändlich und erinnere uns an die "dunkelsten Tage der ungarischen Geschichte", so das Helsinki-Komitee.

Die ungarische Regierung solle die EU dabei unterstützen, ihre Mittel und Kompetenzen einzusetzen um "das Kosovo zu einem lebensfähigen Land zu machen" und außerdem seien längst nicht alle Kooperationsmöglichkeiten mit der EU und Einzelmitgliedern ausgeschöpft, um die Situation an der serbisch-ungarischen Grenze zu verbessern. Doch dazu wäre eine konstruktive Mitwirkung in der EU vorteilhaft, die die Regierung Orbán seit 2010 konsequent und aus Machtkalkül sabotiert. Nicht zuletzt - so unsere Ergänzung - besteht auch Handlungsbedarf gegen korrupte ungarische wie serbische Beamte an den Grenzen, die dem Schlepperwesen Vorschub leisten.

Bei allen Gesetzesänderungen müsse sich die Regierung an ihre internationalen Verpflichtungen halten, darunter die Menschenrechtskonvention und die Genfer FLüchtlingskonvention, gegen die sie schon heute fast täglich verstoße. Auch hier ist wieder die essentielle Notwendigkeit eines Monitorings- und Sanktionssystems hinsichtlich der EU-Grundwerte gegenüber den Mitgliedsländern erkennbar, zu dem seit Jahren konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, die aber - in erster Linie - von der EVP-Familie blockiert werden.




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